Ein neues Stadtquartier am Hauptbahnhof Halle?

Wer künftig auf dem Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerks (RAW) wohnt, muss ein ausgesprochener Bahn-Enthusiast sein – oder diese oft nutzen wollen: Das Betriebsareal liegt inmitten von Gleisen unmittelbar neben dem ICE-Hauptbahnhof Halle. Dennoch oder gerade deswegen möchte die Stadt Halle auf dem rund 26 Hektar großen, seit mehr als zwei Jahrzehnten brachliegenden Industriegelände ein innovatives neues Stadtquartier am Hauptbahnhof entwickeln.

In den historischen Werkhallen des Reichsbahnausbesserungswerkes (RAW) soll ein IT-Campus entstehen, auf dem bis zu 1.500 Menschen forschen und arbeiten; auch ein Kongresszentrum für Halle wäre vorstellbar. Und eine weitere Idee: Das alte Heizwerk mit der erhalten Kohle-Hochbahn soll zu einer „Erlebniswelt mitteldeutscher Industriekultur“ umfunktioniert werden. Und eben auch ein kleines Wohngebiet sieht der erste Entwurf eines Nutzungskonzeptes vor, das jüngst vorgestellt wurde.

„Die Stadt will Halles neuen Osten zu einem Ort für die Entwicklung und Vermarktung innovativer Produkte und Dienstleistungen in den Bereichen Kommunikation, IT-Sicherheit und E-Business gestalten und somit die Bedingungen für hochqualifizierte Arbeitsplätze schaffen“. Dr. Bernd Wiegand (Oberbürgermeister Stadt Halle)

„Die Stadt will Halles neuen Osten zu einem Ort für die Entwicklung und Vermarktung innovativer Produkte und Dienstleistungen in den Bereichen Kommunikation, IT-Sicherheit und E-Business gestalten und somit die Bedingungen für hochqualifizierte Arbeitsplätze schaffen“, sagt Oberbürgermeister Dr. Bernd Wiegand im Amtsblatt der Stadt. Dazu sei man bereits mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie dem Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen (IMWS) im Gespräch, die sich auf dem ehemaligen Bahngelände mit Zweigstellen niederlassen könnten.

Eine von zehn leerstehenden und verfallenden Hallen auf dem 26 Hektar großen RAW-Gelände am Hauptbahnhof Halle (Foto: Thomas Ziegler)

Büro, Gewerbe – Gastronomie und Handel

Als einen weiteren Ankermieter für das neue Stadtquartier am Hauptbahnhof erträumt sich das Konzept den Sitz einer Bundesbehörde mit dem Schwerpunkt IT-Sicherheit. Das Konzept zählt zudem die Einrichtung eines Gründerzentrums für innovative IT-Startups, eine „Innovationswerkstatt Handwerk“ zur Förderung technologierorientierter Handwerksbetriebe und natürlich Büro- und Gewerbeflächen, aber auch Gastronomie und Handelseinrichtungen auf.

„Halles neuer Osten“ heißt dieses Konzept für die Nutzung des etwa 36 Fußballfelder großen RAW-Areals. Rund 200 Millionen Euro werden dafür veranschlagt. Das wäre eine gewaltige Investition, doch unrealistisch ist der Plan nicht. Die Stadtentwicklung auf dem alten Bahngelände ist eines von insgesamt fünf sogenannten „Leuchtturmprojekten“, die im Rahmen des Kohleausstiegs der Bundesrepublik in Halle und im Saalekreis umgesetzt werden sollen, finanziert durch das Investitionsprogramm zum Kohleausstieg.

Fünf Leuchtturmprojekte für Halle und den Saalekreis

Für das Ziel, aus den Kohleregionen zur selben Zeit Zukunftsregionen zu machen, will der Bund den Strukturwandel bis 2038 mit bis zu 40 Milliarden Euro unterstützen. Die Stadt Halle (Saale) und der Saalekreis wollen gemeinsam 670 Millionen Euro in die Gestaltung des Kohleausstiegs investieren. Fünf „Leuchtturmprojekte“ sind geplant. Sie wurden von der Kohlekommission Halle-Saalekreis entwickelt und vom Stadtrat im November 2020 akzeptiert.

Weiterer Ausbau am Weinberg Campus

Neben der Entwicklung des RAW am Hauptbahnhof sind das in Halle der Ausbau des Forschungs- und Gründungsstandortes Weinberg Campus und des Campus Kastanienallee. Am Weinberg Campus in Heide-Süd ist ein „Business Development Center“ für digitale Biowissenschaften und Medizin sowie intelligente Werkstoffe geplant. Die Expansion des Weinberg Campus zielt auf Startups und Technologietransfer in den Bereichen Lebenswissenschaften und Biomedizin sowie Bioökonomie und neue Materialien. Eine Umsetzungsstudie zum Neubau des Zentraums für digitale Biowissenschaften, Medizin und intelligente Werkstoffe liegt vor. Auch der Bau eines MINT-Schul-Campus in Halle-Neustadt ist in diesem Rahmen vorgesehen.

Im Rahmen des Strukturwandels sind auch Erweiterungen am Weinberg Campus (u.a. Biomedizin und Bioökonomie) geplant.
Im Rahmen des Strukturwandels sind auch Erweiterungen am Weinberg Campus (u.a. Biomedizin und Bioökonomie) geplant. (Foto: Uni Halle / Maike Glöckner)

Klimaneutrales Gewerbegebiet

Das dritte hallesche Projekt ist die Erschließung und Entwicklung eines gemeinsamen klimaneutralen Industrie- und Gewerbegebietes für Halle und den Saalekreis, in dem sich Unternehmen aus den Bereichen Logistik, Automobil, Lebensmittel und Maschinenbau ansiedeln sollen. Insgesamt könnten 7.000 neue Arbeitsplätze in der Region Halle-Saalekreis geschaffen werden.

Fördermittel für RAW-Areal bewilligt

Am weitesteten gediehen ist das Projekt der Entwicklung des RAW-Areals als neues Stadtquartier am Hauptbahnhof. Das Land hat auf Grundlage des Nutzungskonzepts bereits 2,6 Millionen Euro Förderung bewilligt. Unter anderem werden dafür vier Projektmanager eingestellt, die die Ideen des Konzepts „Halles neuer Osten“ bis mindestens 2024 konkretisieren sollen.

Parallel müssen noch einige Hürden genommen werden. Da wären die Besitzverhältnisse zu klären – der größte Teil des RAW sind Eisenbahnbundesvermögen. Auch Altlasten im Boden sind ein Problem: Seit 2009 wird das kontaminierte Grundwasser permanent abgepumpt und gereinigt. Wann diese Sanierung abgeschlossen ist, kann niemand sagen. Zudem müsste als Anbindung von der B6 über die Bahnanlagen eine Brücke gebaut werden.

Aus Sicht der Stadtentwicklung könnte sich vor allem der Bereich rund um den Bahnhof völlig neu entwickeln. Nicht nur das RAW-Gelände als neues Stadtquartier am Hauptbahnhof wären eine Bereicherung. Es gibt auch einen sichtbaren Aufschwung zwischen Leipziger Straße und Riebeckplatz, ein mögliches neues Stadtviertel am Thüringer Bahnhof und einen geplanten Büro- und Hotelneubau am Riebeckplatz.

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