Julius Kallmeyer & Wilhelm Facilides haben mehr als 80 Gebäude und Projekte in Halle hinterlassen…
Viele Hallenser kennen das markante Eckhaus Neunhäuser 5/Brüderstraße noch als Geschäft unter dem Namen „Schnee Nachfolger“, ein Sportfachgeschäft. In der DDR gab es dort begehrte Ware zu kaufen. Das auffällige Büro- und Geschäftshaus haben im Jahr 1927 die beiden Architekten Julius Kallmeyer und Wilhelm Facilides errichtet, als Umbau eines gründerzeitlichen Hauses. Das viergeschossige turmartige Eckhaus ist heute ein Baudenkmal. Mit seiner kräftigen kubischen Gestalt, klar akzentuierten Werksteingliederungen, Art-Deco-Ornamenten und einem flachen Dach ist das Gebäude ein Beispiel für das gemäßigte Neue Bauen in Halle.
Dennoch ist das Haus in der Gasse Neunhäuser, direkt am Markt, zwischen Brüderstraße und Großer Steinstraße, nur wenigen Hallensern als Denkmal bewusst. So wie auch dessen Architekten beinahe verges-sen sind. Was erstaunlich ist, hat das Büro „Kallmeyer & Facilides“ zwischen 1923 und 1945 das Bild Halles mit seinen Bauten doch stark geprägt.
Weit über 80 gemeinsame Gebäude und Projekte sowie zwölf Wettbewerbsbeiträge und Entwürfe allein in den Jahren der Büroge-meinschaft hat der Architekt Haie-Jann Krause ermittelt. „Die klassisch-modernen Architekturen Kallmeyers und Facilides gelten bis heute, gerade für den gehobenen Wohnhausbau in Halle an der Saale, als herausragende Leistungen“, so Krause 2011 in seiner Dissertation über die beinahe vergessenen halleschen Architekten. Die Villen Kallmeyers & Facilides etwa in der Heinrich-Heine-Straße 6 (erbaut 1929–1930), in der Ernst-Grube-Straße (erbaut 1930) und das Wohnhaus Dr. Schoen in der Dölauer Straße 82 (erbaut 1929–1931), zunächst als markant expressionistischer Klinkerbau ent-worfen, seien unverfälscht sachliche Zeitzeugnisse des Neuen Bauens in Halle.
Anfang der 1920er Jahre eröffneten Julius Kallmeyer und Wilhelm Facilides ihre äußerst produktive Bürogemeinschaft. Beide hatten im, heute in Halle noch immer sehr bekannten, halleschen Architektur-büro von Reinhold Knoch & Friedrich Kallmeyer zusammengearbeitet. Die beiden ehemaligen, im Staatsdienst tätigen Bauräte, wurden zunächst Partner des Büros, ehe sie ihre eigene Architektengemeinschaft gründeten. Geschäftssitz von Kallmeyer & Facilides war das Wohn- und Geschäftshaus Magdeburger Straße 49, entworfen von Knoch & Kallmeyer, errichtet um 1890. Nachdem Julius Kallmeyer 1945 starb, setzte Wilhelm Facilides eigenständig seine berufliche Karriere bis in das hohe Alter fort und verstarb 81-jährig in Halle.
„Die Architektengemeinschaft hat im Gesamten ein eindrucksvolles Œuvre an Bauten und Entwürfen hinterlassen, das wesentliche Entwicklungslinien der deutschen Architektur des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts umspannt“, so Architekt Haie-Jann Krause.
Eines der wenigen Beispiele ge-lungenen Neuen Bauens in Halle, wo sich insgesamt die Moderne nur schwer durchsetzte, ist die Villa Heinrich-Heine-Straße 6 im Paulusviertel. 1929/30 errichtet, ist der zweigeschossige verputzte Flachbau mit verklinkertem, aufgesetzten Geschoss und rundem Treppenturm eines der auffälligsten Gebäude in der lichten Straße im Paulusviertel. Als „eine gelungene Verbindung von der modernen Formensprache mit einem fast klassizistischen Massenaufbau“ wird es im Architekturführer Halle bezeichnet. Das Fassadenbild wird bestimmt von dem in der Mitte angeordneten Treppenturm, der wie das Attikageschoss im Ziegel ausgeführt ist und mit dem hellen Putz kontrastiert. Die nach funktionalen Kriterien verteilten unterschiedlichen Fensteröffnungen überspielen das symmetrische Schema. Erhalten ist zudem die für Kallmeyer & Facilides typische, durchgestaltete Einfriedung einer vielfach gestuften Ziegelmauer.
Im Süden der Stadt bebauten Kallmeyer & Facilides ganze Straßen-züge. Um der Wohnungsnot nach dem ersten Weltkrieg Herr zu werden, hatte die Stadt Halle in Zusammenarbeit mit mehreren Wohnungs-Baugenossenschaften und der Kleinwohnungsbau Halle AG auf fast 91 Hektar den Bau eines neuen Stadtviertels geplant. Zwischen 1927 und 1931 wurden dabei die zum Großteil vom Architektenbüro Kallmeyer & Facilides entworfenen Wohnhäuser entlang der heutigen Pestalozzistraße gebaut.
Ein eindrückliches Beispiel für den Wohnungsbau des Büros ist die Max-Lademann-Straße 6–7, errichtet 1927-1928. In unmittelbarer Nähe des Bauvorhabens Pestalozzistraße beauftragte der Magistrat der Stadt Halle die Architektengemeinschaft Kallmeyer & Facilides auch mit dem Bau dieses Mehrfamilienwohnhauses. Facilides konzipierte binnen kürzester Zeit ein Gebäude für 18 Familien, welches den Anforderungen einer zeitgemäß modernen Gestaltung Rechnung trug. Durch die mäandrierende Form bildet das Gebäude einen dreiseitigen Platz und das „Eingangstor“ zur Gartenvorstadt aus Richtung der Saale.
Auch das Wohnhaus in der Ernst-König-Straße 10, am Neuwerk wurde 1925 – 1926 für den Rechtsanwalt und Notar Max Seydel gebaut. Die von Kallmeyer und Facilides bevorzugte grüne Putzfarbe wurde hier vermutlich das erste Mal eingesetzt. Das expressionistische Ziegeldekor und die facettenreichen Details in Schlosser- und Stein-metzarbeiten bezeugen den hohen architektonischen Anspruch.