Architektur in Halle: Ludwig von Tiedemann

Das beeindruckende Hauptgebäude der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in der August-Bebel-Straße 50 in Halle.

Der Architekt Ludwig von Tiedemann wirkte in Halle (Saale) vor allem als Universitätsarchitekt. Als preußischer Baubeamte hat er vor rund 140 Jahren öffentliche Gebäude geschaffen, die heute noch immer ihrer ursprünglichen Bestimmung dienen: der Sitz der heutigen Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in der August-Bebel-Straße etwa oder das Anatomische Institut am Steintor.

Ab den 1890er Jahren war der Baubeamte vor allem im Raum Berlin tätig, beim preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten und zuletzt bei der Bezirksregierung Potsdam. Von Tiedemann plante dort mehrere Kirchen, zumeist als Backsteinbauten in neogotischen oder neoromanischen Formen mit charakteristischen Fassadenabschnitten aus Feldsteinen oder Kalksteinen. Ähnliche Kirchenbauten sind auch in den ehemaligen preußischen Provinzen Westpreußen und Posen erhalten. In den 1890er Jahren entwarf er auch die heutigen alten Kliniken der Universitätsmedizin in Breslau.

Auch sein eigenes Wohnhaus in Halle hat Ludwig von Tiedemann ganz nach dem historistischen Zeitgeschmack konzipiert: Die 1877 gebaute Stadtvilla in der heutigen August-Bebel-Straße 17 sieht aus wie ein florentinischer Palazzo. Der markante zweieinhalbgeschossige hohe Bau mit farbig abgesetztem Ziegelmauerwerk ist ein typisches Bauwerk der Neorenaissance, die ihre größte Wirkung zwischen 1870 und 1885 entfaltet hat. Nach der im Historismus üblichen Zuteilung der Stile für bestimmte Bauaufgaben war die Neorenaissance vor allem Bürgerhäusern, Bildungseinrichtungen und Banken vorbehalten.

Magazin der Universitätsbibliothek war stilbildend

Nur ein paar Schritte vom Wohnhaus sind es zu jenem Gebäude, das wie kein anderes für den Universitätsarchitekten Ludwig von Tiedemann steht: das beeindruckende Hauptgebäude der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in der August-Bebel-Straße 50. Bis 1880 wurde es als neues Magazingebäude der Universitätsbibliothek errichtet. Mit einer reich gegliederten Klinkerfassade und großen Fenstern beherrscht der viergeschossige, von einem kleinen Park umgebene Baublock aus gelben Ziegeln und Flachdach den Straßenzug.

Das beeindruckende Hauptgebäude der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in der August-Bebel-Straße 50 in Halle.
Das beeindruckende Hauptgebäude der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in der August-Bebel-Straße 50 in Halle.

 

Der Architekt Ludwig von Tiedemann hat mit diesem frühen Funktionsbau einen der ersten Magazin-Bibliotheksbauten Deutschlands geschaffen. Die Lösung der baulichen Trennung von Magazin und Lesesälen ist beispielhaft für die damalige Zeit. Im ersten Obergeschoss befindet sich der Hauptlesesaal. Die Rasterfassade verdeckt eine verschraubte Gusseisenkonstruktion mit Elementen der Industriearchitektur. Das Bibliotheksmagazin von Tiedemanns folgt dem Vorbild der Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel in Berlin, an der von Tiedemann studiert hatte. Die Bauakademie war 1836 errichtet worden und gilt mit ihrer Konstruktionsweise und Ziegelfassade als ein Ursprungsbau der Moderne.

Der repräsentative neugotische Bau war der hallesche Sitz der 1876 gegründeten Reichsbank, der Zentralnotenbank des Deutschen Reiches.
Der repräsentative neugotische Bau war der hallesche Sitz der 1876 gegründeten Reichsbank, der Zentralnotenbank des Deutschen Reiches.

 

Der Einfluss des Akademie-Baus ist auch an einem weiteren von Tiedemann-Gebäude nachvollziehbar: am 1878 eröffneten Sitz der Reichsbank (An der Waisenhausmauer 12). Der ebenfalls aus gelben Ziegeln errichtete, repräsentative neugotische Bau war der hallesche Sitz der 1876 gegründeten Reichsbank, der Zentralnotenbank des Deutschen Reiches. 1951 war das Gebäude der Geschäftssitz der Staatsbank der DDR.

Eingang der 1876 gegründeten Reichsbank, der Zentralnotenbank des Deutschen Reiches.
Eingang der 1876 gegründeten Reichsbank, der Zentralnotenbank des Deutschen Reiches.

Anatomisches Institut ist größte architektonische Hinterlassenschaft

Die größte bauliche, neogotische Hinterlassenschaft von Tiedemanns findet sich auf dem etwa acht Hektar großen Medizin-Campus Steintor der Universitätsmedizin Halle an der Magdeburger Straße. Dort entstanden zwischen 1876 und 1884 mehrere Klinik-, Funktions- und Bettenbauten.

Der Universitätsarchitekt entwarf unter anderem die Institutshäuser der Pathologie, der Augen- und Ohrenklinik, der Nervenklinik und weitere Gebäudeteile des Gesamtkomplexes. Darunter ist auch die 1880 als Anatomische Anstalt eröffnete Anatomie (Große Steinstraße 52). Dieses Institutsgebäude gehört zu den schönsten in Halle, berühmt auch für die anatomischen Meckelschen Sammlungen. Die Baukosten beliefen sich seinerzeit auf stolze 380.000 Mark.

Die 1880 als Anatomische Anstalt eröffnete Anatomie gehört zu den schönsten Instituten in Halle, berühmt auch für die anatomischen Meckelschen Sammlungen.
Die 1880 als Anatomische Anstalt eröffnete Anatomie gehört zu den schönsten Instituten in Halle, berühmt auch für die anatomischen Meckelschen Sammlungen.

 

Das großzügig angelegte Institutsgebäude ist ein funktionaler Bau, auch er mit einem kleinen vorgelagerten Park versehen. Von Tiedemann plante eine axiale Bauweise, wie sie noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts für viele anatomische Institute typisch war: Ein Mittelbau mit Vestibül und Treppenaufgang zum Hörsaal teilt das Haus in zwei Hälften, flankiert wird das Institut durch Seitenflügel. Hinter dem Mittelteil liegt der bekannte Hörsaal, der wie ein Amphitheater mit hufeisenförmig angeordneten Sitzreihen ausgestattet ist.

 In der Mitte des Hörsaals stand ein Demonstrationstisch mit drehbarer Schieferplatte, auf welcher der Leichnam für den anatomischen Unterricht während der Vorlesungen abgelegt wurde. Außerhalb der Vorlesungsstunden wurde das Auditorium ursprünglich noch als Demonstrations- und Repetitionsraum genutzt.

Der Universitätsarchitekt entwarf unter anderem die Institutshäuser der Pathologie, der Augen- und Ohrenklinik, der Nervenklinik und weitere Gebäudeteile des Gesamtkomplexes in Halle.
Der Universitätsarchitekt entwarf unter anderem die Institutshäuser der Pathologie, der Augen- und Ohrenklinik, der Nervenklinik und weitere Gebäudeteile des Gesamtkomplexes in Halle.

Krankenhauskapelle in den Universitätskliniken Halle

Da sich in den Klinikgebäuden an der Magdeburger Straße kein geeigneter Raum für eine Kapelle fand, hat Ludwig von Tiedemann eine kleine Krankenhauskirche geschaffen. Es handelt sich um einen quadratischen Zentralbau von zehn mal zehn Metern, ebenfalls aus gelbem Backstein mit rheinischem Rautenhelm geplant. Im Gegensatz zu den Funktionsbauten der Klinik im Neorenaissance-Stil wurde die Kapelle aber im neogotischen Stil geplant. So betonte von Tiedemann den sakralen Charakter des Gotteshauses.

Im Gegensatz zu den Funktionsbauten der Klinik im Neorenaissance-Stil wurde die Kapelle aber im neogotischen Stil geplant
Im Gegensatz zu den Funktionsbauten der Klinik im Neorenaissance-Stil wurde die Kapelle aber im neogotischen Stil geplant. (Foto: Universitätsmedizin Halle)

Der Architekt Ludwig von Tiedemann (1841 bis 1908)

Ludwig Alexander Erdmann von Tiedemann wurde 1841 bei Danzig geboren. Er war das fünfte von sieben Kindern eines Rittergutsbesitzers. Nach dem Abitur in Stettin studierte von Tiedemann zwischen 1862 und 1870 an der Berliner Bauakademie und war als Architekt in den 1870er und 1880er Jahren vorwiegend in Halle (Saale) tätig. 1875 heiratete er Maria von Stuckrad, das Paar hatte sechs Kinder. Von Tiedemann starb 1908 in Berlin-Wannsee. Sein letzter Wohnsitz war dort das 1906 für ihn erbaute Haus Tristanstraße 8 in der Villenkolonie Nikolassee, in dem übrigens 1943/44 der Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg wohnte.

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