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Gartenarchitektur in Halle: Die Weinbergwiesen

Landschaftspark Weinbergwiesen

Wer im Frühling oder Sommer durch die Weinbergwiesen zwischen Heide-Süd und Halle-Neustadt spaziert, trifft sowohl auf Jogger, Nordic-Walker, Radfahrer und spielende Kinder, als auch auf vielfältige Naturräume mit abwechslungsreicher Flora und Fauna. Auf den Wiesen suchen kleine Gruppen von Distelfinken Nahrung zwischen meterhohen Gräsern. In den Morgen- und Abendstunden, wenn es etwas ruhiger ist, trifft man nicht selten einen Grünspecht an, der in alten, knorrigen Bäumen seine Nisthöhlen findet. Auch Fasane und Graureiher sind in den von Gräben, Bächen und kleinen Teichen durchzogenen Wiesen keine Seltenheit. Selbst Wildschweine wurden Ende letzten Jahres gesichtet und sorgten für Erstaunen unter den Anwohnern. In den Weinbergwiesen verschmilzt in einzigartiger Weise das urbane Freizeitleben mit einem künstlich angelegten Naturraum.

Wiesen erst seit 20 Jahren zugänglich

Dabei sind die Weinbergwiesen noch nicht lange für Besucher erschlossen. Sie zählen zu den jüngsten Landschaftsparks und Erholungsgebieten in Halle und bereichern die Gartenarchitektur in Halle nachhaltig. Erst seit Anfang der 2000er Jahre – im Zuge der Entwicklung des Stadtviertels Heide-Süd – wurde das Gelände rekultiviert und für Besucher und Anwohner zugänglich gemacht.

Die Weinbergwiesen erstrecken sich dabei über eine Fläche von ca. 200 Hektar entlang des drei Kilometer in West-Ost-Richtung verlaufenden Saugrabens. Die Parkanlage ist durchschnittlich 100 Meter breit. Der Saugraben und verschiedene kleinere Zuflüsse entwässern unter anderem den Bruchsee im nahegelegenen Stadtteil Halle-Neustadt sowie den Heidesee in Nietleben.

Weinbau war die ursprüngliche Nutzung des Ortes

Die ursprüngliche Nutzung des Ortes, an dem sich die heutige Parkanlage befindet, war der Wein- und Obstanbau und somit namensgebend für die Weinbergwiesen. Denn in der hügeligen und felsigen Gegend rund um Halle wurde bis weit ins 18. Jh. reger Weinbau betrieben. Neben den Weinbergterrassen in Kröllwitz gab es westlich der Stadt vier große Weinlagen – die Weinberghöhe, der Schiff‘sche bzw. Bahrdt’sche Weinberg, der Ladenberg’sche Weinberg und der Gansaugische Weinberg. Im Jahr 1795 produzierten noch vier Winzerbetriebe in direkter Nähe der Saalestadt. Letztes architektonisches Zeugnis davon ist das Weinberghaus (Weinberg 1).

Das Weinberghaus am Weinberg 1
Letztes architektonisches Zeugnis des historischen Weinbaus in Halle ist das Weinberghaus (Weinberg 1).

Das Weinberghaus am Weinberg 1

Das Weinberghaus stammt aus der ersten Hälfte des 18. Jh. mit einem rückwärtigen Wingert. Als Wingert wird eine für den Weinbau landwirtschaftlich genutzte Fläche in Flachlage bezeichnet. Es gehörte im 18. Jh. Friedrich Hoffmann (1660 – 1742), einem herausragenden Mediziner seiner Zeit. Er war der erste Professor für Medizin an der damals neu gegründeten Friedrichs-Universität in Halle. Berühmt wurde er durch die „Hoffmanns-Tropfen“, einem Ätherweingeist, der bei Schwächezuständen Anwendung fand.

Das Weinberghaus ist eine Dreiflügelanlage mit flankierenden Wirtschaftsgebäuden, die einen kleinen Ehrenhof (Cour d‘ honneur) einfassen. Markant ist das hohe Mansardwalmdach, sowie ein großes Zwerchhaus, das die Mittelachse pavillonartig betont. Für ein quasifürstliches Ambiente sorgen zudem die reich profilierten Fenster- und Türgewände, sowie die Einfriedung mit der repräsentativen Toreinfahrt.

Derartige Häuser waren oftmals im Besitz reicher Bürger, die sich somit einen leicht erreichbaren Sommeraufenthalt in Stadtnähe schufen.

Landschaftsarchitektur in Anlehnung an Obst- und Weinbau

Zunächst erfüllt die Parkanlage Weinbergwiesen technische und ökologische Funktionen, wie die Verbesserung der Frischluftzufuhr der angrenzenden Wohnbereiche, die Entwässerung und Regenwassernutzung sowie die Erhaltung und Schaffung spezifischer tierischer Lebensräume. Als Bürgerpark wurde mit den Weinbergwiesen aber auch ein klarer architektonischer Raum geschaffen, der als grünes Rückgrat Orientierung und Identität schafft und die angrenzenden Bauflächen in der Stadt verankert.

Streuobstwiesen und Terrassen - Die Landschaftsarchitektur greift die historische Nutzung des Wein- und Obstbaus auf.
Streuobstwiesen und Terrassen – Die Landschaftsarchitektur greift die historische Nutzung des Wein- und Obstbaus auf.

 

Die Landschaftsarchitektur im Rahmen der Rekultivierung und Gestaltung der Weinbergwiesen greift die historische Nutzung des Wein- und Obstbaus auf. So gibt es – entsprechend der für die Region typischen felsigen Weinbaugebiete – kleine Terrassen. An der Blücherstraße Ecke Otto-Eißfeldt-Straße erinnert ein neu aufgerebtes Feld an den Weinbau. Auch zwei kleine Streuobstwiesen mit verschiedenen Apfelbäumen wurden angelegt. Ortskundige nutzen im Spätsommer die Gelegenheit und sammeln hier Fallobst für den Eigenbedarf.

Wechselvolle Nutzung der Weinbergwiesen

Die Weinbergwiesen haben eine sehr wechselvolle Geschichte und Nutzung hinter sich. Ergänzend zum bereits beschriebenen Weinbau wurde das Gebiet ab 1834 für den Standort der „Königlichen Provinzial-Irrenanstalt zu Nietleben bei Halle“ auserkoren. Mit Fertigstellung um 1844 galt sie als eine der modernsten psychiatrischen Anstalten in Deutschland. Bis zu 400 Patienten mit heil- und unheilbaren Leiden wurden hier gepflegt. Steigende Bau- und Projektkosten sind dabei keine modische Erscheinung unserer Zeit, denn bereits damals war der Bau doppelt so teuer wie ursprünglich veranschlagt. Noch bis 1897 wurden umfangreiche Erweiterungen und Ergänzungen im Gebäudebestand vorgenommen.

Die Standortwahl erfolgte aufgrund der Nähe zur Stadt, wahrte aber gleichzeitig auch eine gewisse Distanz. Die Krankenzimmer hatten mittels großer Fenster allesamt einen Ausblick in die Landschaft. Fenstergitter waren als Ziersprosse gestaltet, um eine Gefängnisatmosphäre zu vermeiden. Heute sind noch einige der 1887 für gehobene Kreise gebauten Patientenvillen auf dem Weinberg zu bewundern. Diese freistehenden „Villen“ sind im „Schweizerhausstil“ gebaut mit großen Fenstern, Veranden und üppigen Ziergittern.

Flugplatz auf den Weinbergwiesen

1924 wurde durch den Halleschen Wirtschafts- und Verkehrsverband die Forderung laut, Halle in den Luftverkehr einzubinden. Bedingt auch durch die Konkurrenz des Flugplatzes Leipzig-Mockau. Bereits im Juni 1925 wurde in direkter Nähe zur Heil- und Pflegeanstalt der Flugplatz Halle-Nietleben errichtet. Die Fluggesellschaft Aero Lloyd AG – ein Vorgänger der Deutschen Lufthansa – bot verschiedene Direktflüge u.a. nach Berlin und Köln an. Der Flugplatz stieß mit seinen 14 Linien schnell an seine Kapazitätsgrenze und wurde mit dem Bau des Flughafen für den Ballungsraum Leipzig-Halle ersetzt. Mit dessen Eröffnung im Frühjahr 1927 verlor der Flugplatz an den Weinbergwiesen nach nur zwei Jahren seine verkehrspolitische Bedeutung. Im letzten Betriebsjahr 1926 wurden 4.750 Flugzeuge mit 8.803 Passagieren abgefertigt.

Ab 1936 entwickelte sich mit der Errichtung der Heeres- und Luftwaffennachrichtenschule Halle die noch heute erkennbare Siedlungsstruktur im angrenzenden Stadtgebiet Heide-Süd. Von 1947 bis 1990 wurde es von einer Division sowjetischer Truppen genutzt. Auf dem Areal der heutigen Parkanlage waren Panzerhallen und Kasernen untergebracht. Die alte Garnisionskirche wurd als Turnhalle genutzt sollte aber 2019 wieder renoviert werden. Erst nach deren Abzug fasste der Stadtrat 1995 den Beschluss über das Entwicklungsgebiet Heide-Süd mit dem auch die Weinbergwiesen als Landschaftspark entwickelt wurden.

Von 1947 bis 1990 wurden die Weinbergwiesen von einer Division sowjetischer Truppen genutzt.

Quellen:

Brühls, Holger; Dietzsch, Thomas; 2000: Architekturführer Halle an der Saale
Neuß, Dr. Erich; 1954: Vom Weinbau im alten Halle, Hallesches Monatsheft Nr. 7

Stadt Halle (Saale); 2018: Grünes Halle entdecken: www.halle.de
Stadt Halle (Saale); 2004: Heide-Süd – zur Geschichte des Ortes, FB Stadtentwicklung und -planung
Därr Landschaftsarchitekten
: https://www.landschaftsarchitektur-heute.de/projekte/details/2048
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Provinzial-Irrenanstalt_Halle-Nietleben
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Flugplatz_Halle-Nietleben

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