Reichardts Garten ist der schönste Park Halles und ein romatisches Dichterparadies
Der Komponist Johann Friedrich Reichardt hat vieles hinterlassen. Sein Lied „Wach auf, mein’s Herzens Schöne“ ist ein Gassenhauer der Volksliedkunst. Sein wundersames Wiegenlied „Schlaf, Kindlein, schlaf“ ist nichts weniger als ein Welthit. Den Hallensern aber hat dieser Johann Friedrich Reichardt noch mehr als seine Kompositionen hinterlassen: seinen, also Reichardts, Garten. Im Jahr 1788 kaufte Reichardt das in früherer Zeit zum Kloster Neuwerk gehörende, seinerzeit fünf Hektar große Brunnsteinsche Gut mit dem Brunnsteingehöft an der Seebener Straße. Heute gehört Reichardts Garten zu den „Gärtenträume-Parks“, einem der 50 historischen Gärten Sachsen-Anhalts.
Das Gutsgelände an der Burg Giebichenstein mit Saaleblick und Hanglage hatte es ihm sofort angetan. 1789 war der vielseitig Begabte zum Salinendirektor für verschiedene königlich-preußische Salinen ernannt worden, 1791 siedelte er mit Familie nach Giebichenstein über. Das Gelände weist noch heute einen Höhenunterschied von mehr als 28 Metern auf, zwischen der nördlichen unteren Ecke an der Seebener Straße und dem obersten Punkt des Gartens, wo heute der „Oberschmelzer“, das Haus Friedensstraße 1, steht. Von der Anhöhe aus gibt es zwei Abhänge: Einen, der sich steil nach Osten – heute Wittekindstraße – senkt, und einen anderen, von dem aus man den vielbesagten Blick auf die Saale und die darum liegenden Porphyr-Felsen genießen konnte.
Begehbares Landschaftsgemälde
Aus gärtnerisch-praktischen Gründen hatte man schon vor 1791 neben der östlichen und westlichen Gartenmauer steil emporkletternde Treppen aus Porphyr angelegt. Seinen Garten gestaltete Reichardt in Anlehnung an das Gartenreich Wörlitz und an den Park an der llm in Weimar im Stil eines englischen Landschaftsparks.
Reichardt verachtete das geometrisch exakte Strenge, die Symmetrie barocker Gärten. „Jede Allee ist mir ein ebenso großer Greuel als eine Fronte von zu Maschinen verkrüppelter Menschen“, schrieb er. Reichardts Garten richtete sich nach dem Gelände und dem, was die Natur an Ausblicken zu bieten hatte: Eine natürliche „englische“ Parklandschaft im Sinne des Ideals eines „begehbaren Landschaftsgemäldes“.
Im Gegensatz zu Wörlitz verzichtete Reichardt allerdings auf den üblichen Bau von künstlichen Ruinen oder Tempeln. Das Naturerlebnis war wichtiger. Die Hänge bepflanzte Reichardt mit ein-heimischen und ausländischen Laub- und Nadelhölzern, insbesondere nordamerikanische Kiefern, namentlich die Weymouth-Kiefer. Viele Arten von Blüten-sträuchern wurden verteilt, Tannen standen vor dem Gartenhaus.
In die Nähe des Wohnhauses setzte er Fliederbüsche mit vielen edlen Rosen, Stauden und Sommerblumen. Oberhalb des Höhenrandes schuf er Grotten und nahe dem Marmor-bruch einen großen runden Steintisch. Bänke aus Stein waren an passenden Stelen überall im Garten aufgestellt. Reichardt ordnete auch an, dass seine Gäste im Park nicht jagen durften, was den Charatter einer paradiesischen Idylle beförderte.
Reichards Garten ist ein Kulturdenkmal
Reichardts Schwiegersohn, Heinrich Steffens, beschrieb es so: „Der Garten war einfach, ohne alle Ziererei, eine Fülle einheimischer und nordamerikanischer Bäume zierten ihn; ansteigende Höhen und kleine Täler gaben ihm eine gewünschte Mannigfaltigkeit der Ebene, die sich dem Haus anschloß, ruhige Bequemlichkeit, der in dieser sanften Umgebung mächtige Reilsberg erhob sich hinter dem Garten. Der Küchengarten war von dem anmutigen Park abgesondert, in einem Winkel angelegt. Es durfte in diesem Garten kein Schuß fallen; Säugetiere und Vögel, die ihn betraten, waren geschützt; Hasen knabberten an den Kräutern, ein Volk Rebhühner brütete ungestört in dem Küchengarten, eine große Schar Nachtigallen nistete in den Gebüschen…“
Der heute drei Hektar große Reichardts Garten ist mehr als eine beliebte städtische Grünanlage, mehr als eine Wegeverbindung mit beliebtem Spielplatz. Er ist ein Kulturdenkmal!
Herberge der Romantik
Als Herberge der Romantik oder Giebichensteiner Dichterparadies hat er auch einen Platz in der deutschen Literaturgeschichte. Denn Reichardt, Kapellmeister von drei preußischen Königen – Friedrich II., Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wil-helm III. – war ein berühmter Mann. Und in seinem romantischen Garten waren unter anderem die Romantiker Clemens Brentano und Achim von Arnim zu Gast.
Auch Goethe weilte mehrmals und über längere Zeit hier bei seinem Freund, als er im nahegelegenen Bad Lauchstädt das Theater baute. An Goethes Besuche erinnern verschiedene Gedenksteine. 1814 ist Reichardt gestorben, beerdigt wurde er auf dem, seinem Besitz benachbarten, Friedhof an der Bartholomäuskirche.
Der Garten wurde 1902 von der Stadt gekauft und als Bürgerpark gestaltet. Der damalige Gartendirektor Emil Berckling ließ neue Wege und Pflanzungen anlegen, die bis heute das landschaftliche Erscheinungsbild des Parks prägen. Zum Altbaumbestand zählen auch dendrologische Besonderheiten, wie Französischer Ahorn, Trompetenbaum und Urwelt-Mammutbaum.
Das Reichardtsche Gehöft, in dem die Familie lebte, wurde übrigens erst 1902 weggerissen – es stand der elektrischen Straßenbahn in der Seebener Straße im Wege. Der Garten aber blieb. Wilhelm Dorow, ein Schwager Reichardts, schrieb im Jahr 1841: „Reichardts Garten ist wohl die schönste Komposition seines Lebens und seines Geistes; Nicht allein ist es der herrliche Geschmack, der darin herrscht, welcher unwiderstehlich anzieht, sondern man hat aus demselben die schönste Aussicht in Giebichenstein; Wenn man weiß, daß er alles selbst gepflanzt und geordnet hat, so kann man leicht schließen, wie schön und poetisch die Anlagen sein müssen.“