Der Architekt Otto Rudolf Salvisberg – Ein moderner Schweizer in Halle
In der Stadt Halle gibt es nur sehr wenige qualitätsvolle Wohngebäude in den Formen des Neuen Bauens. Dazu gehören ganz sicher zwei Villen im Kröllwitzer Kirschbergweg: das „Haus Clausen“, Nummer 12, und das benachbarte „Haus Aubin“, Nummer 12a. Beide Villen hat der bedeutende Architekt Otto Rudolf Salvisberg geschaffen. Der Schweizer gehört zu den herausragenden Exponenten moderner Architektur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die benachbarten Häuser sind damit auch seltene Beispiele für Bauwerke eines renommierten nicht einheimischen Architekten der Moderne in Halle.
Die Stömung des Neuen Bauens im Städtebau
Das Neue Bauen war eine Strömung der Architektur und im Städtebau, die vor allem in den 1920er Jahren Deutschlands Städte verändert hat. In jener Zeit entstanden vor allem Großsiedlungen für die wachsende Bevölkerung. Dafür wurden neue Bautechniken wie Eisenbau und Stahlbetonbau genutzt, die die Konstruktion in den Vordergrund rückten. Verdeckende Architektur und dekorative Elemente waren unerwünscht und es gab erste Ansätze industriellen und seriellen Bauens.
Das Neue Bauen bestand vor allem im Verzicht auf Stilformen wie dem vorherrschenden Historismus, der historische Stile imitierte oder mischte. Beim Neuen Bauen dominierten stattdessen kubische oder gebogene Baukörper, meist glatte Fassaden und Flach- oder Pultdächer.
Die Formen des Neuen Bauens sind an den beiden Villen im Kirschbergweg in unterschiedlicher Weise ausgeprägt. In einem zeitlichen Abstand von fünf Jahren hat der bereits damals bekannte Architekt Otto Rudolf Salvisberg die beiden Häuser geplant.
Stilistisch unterschiedlich, sind ihre Grundrisse doch ähnlich: Die beiden Hauptgeschosse erheben sich jeweils über einem quadratischen Grundriss. Im Norden schließen sich jeweils eingeschossige Anbauten an, im Süden ergänzt ein Wintergarten beide Ensembles.
Otto Rudolf Salvisberg plante das Wohnhaus „Haus Aubin“ noch eher konservativ
Das Wohnhauses für Professor Dr. Gustav Aubin, Kirschbergweg 12a, wurde von 1923 bis 1926 erbaut. Mit dem ein- bis zweigeschossigen Putzbau blieb Otto Rudolf Salvisberg noch einer eher konservativen Baugesinnung verhaftet. Der Bau trägt flache, weit vorkragende Walmdächer, hat quadratische Fensterformen, eine dekorative Versprossung und einen Natursteinsockel und ist ein beachtliches Beispiel für die Verbindung traditioneller und sachlicher Architekturformen.
Bauherr der Villa war Gustav Karl Wilhelm Aubin, deutsch-österreichischer Nationalökonom und Wirtschaftshistoriker, der 1919 als Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften an die Universität Halle-Wittenberg berufen wurde. Von 1930 bis 1932 war Aubin deren Rektor.
Bereits 1931 wurde er massiv von der nationalsozialistischen Studentenschaft angefeindet, weil er sich für den pazifistischen evangelischen Theologen Günther Carl Dehn einsetzte und ein vorübergehendes Verbot des Nationalsozialistischen Studentenbunds an der Universität erreichte. Dadurch wurde er zu einem von den Nationalsozialisten meistgehassten Universitätsrektoren der Weimarer Republik.
Mit dem „Haus Clausen“ wendet sich Otto Rudolf Salvisberg konsequent zum Neuen Bauen
Salvisbergs Villa für den halleschen Augenarzt Wilhelm Clausen im Kirschbergweg 12 entstand 1929/30. Der zweieinhalbgeschossige kubische Baukörper mit großen Putzflächen, Fensterbändern und Flachdach ist eine konsequente Hinwendung Salvisbergs zum Neuen Bauen. Den Garten mit Seerosenteich gestaltete übrigens ebenfalls ein Nicht-Hallenser: der bekannte Gartenarchitekt und Gartenbauschriftsteller Harry Maaß.
Bauherr war der Mediziner Wilhelm Clausen, der ab1925 die Augenklinik der Universität neu aufbaute. Finanziert wurde dies sowohl durch Industrielle als auch durch Patienten. 1945 wurde Clausen als NSDAP-Mitglied von seiner Professur entlassen, 1946 dennoch Direktor der Augenklinik.
Leben und Werk von Otto Rudolf Salvisberg (1882-1940)
Otto Rudolf Salvisberg war ein bekannter Schweizer Architekt, der zwischen 1908 und 1930 in Deutschland arbeitete. Salvisberg wurde in Bern als jüngstes von acht Kindern geboren, wuchs in einfachen Verhältnissen auf und machte eine Berufslehre in einem Architekturbüro.
Nach dem Diplom an der Bauschule des Technikums Biel ging er 1904 nach München und 1908 nach Berlin, wo er ab 1914 selbständig tätig war. Salvisberg war extrem erfolgreich, betrieb Büros in Berlin, Bern und Zürich und hatte Bauaufträgen in Basel, Berlin, Breslau, Mailand oder Welwyn/Großbritannien. Salvisberg wirkte länderübergreifend als Scharnier zwischen Avantgarde und Tradition.
Herausragend sind seine Siedlungsbauten, darunter Onkel Toms Hütte (Waldsiedlung Zehlendorf), für die er bis 1931 mit Bruno Taut und Hugo Häring 1.100 Geschosswohnungen und 800 Einfamilienhäuser plante.
Berühmt ist auch die Großsiedlung Weiße Stadt in Berlin-Reinickendorf, an denen sich exemplarisch die Siedlungsentwicklung des 20. Jahrhunderts von der Gartenstadtidee bis zur Moderne nachvollziehen lässt. Die Weiße Stadt mit dem berühmten Laubenganghaus von Otto Rudolf Salvisberg wurde nach dessen Städtebauentwurf errichtet. Als Siedlung der Berliner Moderne ist sie seit 2008 UNESCO-Welterbe.
1930 kehrte Salvisberg endgültig in die sichere Schweiz zurück. Auch dort gewann er mit dem Pharmakonzern La Roche einen besonders attraktiven Bauherrn und realisierte eine Vielzahl von Bauprojekten, darunter Spitäler, Hochschulbauten und das berühmte SUVA-Haus in Bern.